Chatkontrolle: Faeser begrüßt, Wissing ist beunruhigt, Buschmann prüft

Verbände, Organisationen, Bürgerrechtler, Strafverfolger, ganz normale Menschen haben nichts als Kritik für den Entwurf der EU-Kommission für eine Chatkontrolle übrig. Harsche Kritik. Berechtigte Kritik. Der Druck auf die Politik kann derweil noch wachsen.

Von AnonLeaks Beitragsdatum 17. Mai 2022, 14:16 Uhr

Die Kritik von Experten, Bürgerrechtlern, ITlern, dem Kinderschutzbund, Organisationen und vielen Internetnutzern schlägt hohe Wellen, aber die sind noch nicht hoch genug.
Zwar hat Digitalminister Wissing in einem Statement kundgetan, er sei “beunruhigt”, oder genauer:

“Einige der Vorschläge der Kommission beunruhigen mich, weil sie einen Eingriff in den geschützten Raum der Vertraulichkeit der Kommunikation darstellen könnten: Ich verweise auf den besonderen Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation, die in Deutschland als Fernmeldegeheimnis ein Grundrecht ist. Ich denke dabei auch an das Berufsgeheimnis, insbesondere für Anwälte, Ärzte und Opferberatungsstellen. […] Wir müssen sensibel auf den Grundrechtsschutz achten. Die allgemeine Kontrolle von Chatverläufen und das Unterlaufen von Verschlüsselungen gehen zu weit.”

https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Pressemitteilungen/2022/019-statement-chatkontrolle.html

Aber andererseits … FDP, die ändern auch mal rasch ihre Meinung. Und sein Partei-Kollege Buschmann, Justizminister, prüft noch “kritisch”, allerdings auch “mit Blick auf die im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziele” (sagte eine Sprecherin auf Anfrage von Golem.de).

Nancy Faeser von dieser anderen Partei hatte ja bereits am 11. eine Stellungnahme rausgetwittert – da hatte sie den Entwurf noch nicht in Gänze erfasst oder gar nicht gelesen oder nicht verstanden. Ist ja bei den Politikern mittlerweile Usus, frei nach dem Motto: “Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich lese, was ich tweete?”

“Es freut mich, dass wir in der Europäischen Union in diesem besonders wichtigen Thema voran gehen. Wir werden den Kommissionsentwurf jetzt genau prüfen und uns intensiv in die Verhandlungen im Rat einbringen:” https://t.co/sDdZLfuscd
May 11, 2022

Nun, mittlerweile sollten Leuten wie Faeser, von der Leyen und Johansson die Ohren klingeln, so laut ist die Kritik. Aber Politik ist ja auch immer gepaart mit Beratungsresistenz, Ingoranz, dem erhobenen Zeigefinger und pateispezifischer Besserwisserei. Sich auf Politiker allein zu verlassen … ist schon oft daneben gegangen. Siehe Uploadfilter.

Deswegen sollte der Druck aufrechterhalten und größer werden.

Campact hat eine Aktion “Chat-Überwachung stoppen” gestartet, bei der Stand jetzt knapp 100K Menschen mitgezeichnet haben. Organisationen haben einen offenen Brief geschrieben (Link siehe unten). Doch das kann noch stärker, lauter.

Nochmal kurz, worum es geht: Um Kindesmissbrauch zu unterbinden und besser verfolgen zu können, will die EU, dass eine neue, noch zu schaffende Behörde Provider, Messengerdienste und Co. dazu zwingen kann, die private Kommunikation der EU-Bürger zu scannen. JEDE private Kommunikation. Das betrifft nicht nur Telegram und WhatsApp, Instagram und E-Mail, sondern explizit auch Dienste, bei denen Kommunikation nur Beiwerk ist, wie beim Gaming, Teilen von Bildern, etc.

“In order to achieve the objectives of this Regulation, it should cover providers of services that have the potential to be misused for the purpose of online child sexual abuse. As they are increasingly misused for that purpose, those services should include publicly available interpersonal communications services, such as messaging services and web-based e-mail services, in so far as those service as publicly available. As services which enable direct interpersonal and interactive exchange of information merely as a minor ancillary feature that is intrinsically linked to another service, such as chat and similar functions as part of gaming, image-sharing and video-hosting are equally at risk of misuse, they should also be covered by this Regulation. However, given the inherent differences between the various relevant information society services covered by this Regulation and the related varying risks that those services are misused for the purpose of online child sexual abuse and varying ability of the providers concerned to prevent and combat such abuse, the obligations imposed on the providers of those services should be differentiated in an appropriate manner.”

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/HTML/?uri=COM:2022:209:FIN&from=EN

Man könnte es auch kurz formulieren: Die EU-Kommission plant eine Super-Überwachungsbehörde mit umfassenden Befugnissen, ein Ende der Privatheit von Kommunikation und eine Umgehung, wenn nicht Aufhebung der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung.

Einige Dienste machen solche Scans übrigens bereits. Die EU hat es ihnen per Verordnung explizit im vergangenen Jahr erlaubt. Da ging es um “nummernunabhängige interpersonelle Kommunikationsdienste” und das Scannen nach bekannter Kinderpornographie. Die Macher der Verordnung waren sich damals sogar im Klaren darüber, dass dies Grundrechte aufweicht.

“Die vorliegende Verordnung beschränkt das Recht auf Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation und weicht insofern von der in der Richtlinie (EU) 2018/1972 gemachten Vorgabe ab, dass für nummernunabhängige interpersonelle Kommunikationsdienste in Bezug auf den Schutz der Privatsphäre dieselben Vorschriften gelten wie für alle anderen elektronischen Kommunikationsdienste; dies erfolgt ausschließlich zu dem Zweck, Missbrauch von Kindern im Internet in den genannten Diensten aufzuspüren und es den Strafverfolgungsbehörden oder Organisationen, die im öffentlichen Interesse gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern vorgehen, zu melden und Online-Material über den sexuellen Missbrauch von Kindern aus diesen Diensten zu entfernen.”

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32021R1232&qid=1652784602414

Schon damals hat man mal ausgelotet, wie weit man gehen kann. Da ging es um das “freiwillige” Scannen und Melden, das Vergleichen von Hashes, viele waren damals schon der Meinung, das verstoße gegen Grundrechte, sogar gegen die Grundrechtecharta der EU. Mit der geplanten Chatkontrolle wird diese Freiwilligkeit aufgehoben, Dienste können damit verpflichtet werden. Und es geht bei der Chatkontrolle auch nicht mehr nur um Hashes, sondern um das Erkennen von Kommunikations-Mustern bei Grooming in Texten. Wer Politiker kennt, der weiß, dass der “Kampf gegen Kindesmissbrauch” nur der Vorwand, nur der Anfang ist. Hier wird eine europaweite Überwachungsstruktur aufgebaut. Lest gern auch:

Mit freundlicher Genehmigung von Anonymous Germany